Der Unternehmer Klaus Hildenbrand hat sich einem großen Projekt verschrieben: der „bodenständigen Marktwirtschaft".
Porträt eines handfesten Idealisten.
Text: Stefan Scheytt Foto: Michael Hudler- In dieser Geschichte kommen November-Erdbeeren vor und der erstaunliche Buchwert des Kölner Doms, Bauxitminen in Südamerika und Leberwerte, Umsatzsteuererstattungen, ÖkoDatenbanken und Holzteile aus Vakuumpressen, außerdem jede -Menge Fensterläden vom Horizontalfaltladen über den Gleitladen bis zum Wendeladen. Das klingt wirr, aber wenn man sich ein paar Stunden mit dem Unternehmer Klaus Hildenbrand unterhält, dann reihen sich die Begriffe zu einer plausiblen Kette.
Vor der Tür zu seiner Schreinerei buddeln sich zwei KaninChen in ihrem Gehege Gänge. In der Einfahrt stehen die Figuren eines Freiluft-Schachspiels aus Abfallholz. Daneben ragen neun Kanthölzer in den Himmel — ein Stelenfeld als symbolisches Balkendiagramm: Jeder Balken steht für das Reduktionsziel eines Stoffes bis zum Jahr 2050, vom Holzverbrauch bis zu C02-Emissionen und zum Fleischkonsum, wie es das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie einmal ausgerechnet hat.
Herr Hildenbrand, sind Sie ein Weltverbesserer?
-Ja, und zwar aus ganz egoistischen Gründen: Es lebt sich angenehmer in einer besseren Welt."
Sind Sie Idealist?
„Eindeutig ja."
Grüner?
„Es gibt viele Schnittmengen mit den Grünen, ich wähle sie auch. Aber sie vertrauen dem Markt nicht, das ist mein Problem mit ülnen. Sie wollen gern von oben steuern. Was den Markt angeht, bin ich fast ein Neoliberaler. Markt ja, aber bitte richtig."
Pragmatiker?
,Ja. Ganz pragmatisch kann es auch mal Plastik statt Jute sein."
Ideologiefrei?
„Vermutlich nicht. Einmal hat einer meiner Söhne bei einer Einladung bei Freunden den Nachtisch so kommentiert: ,Was, bei euch gibt's im November Erdbeeren?' Das hatte er wohl von mir."
In Hildenbrands Büro schaut man durch große Fenster auf Ebenheid, ein 300-Einwohner-Flecken im äußersten Norden BadenWürttembergs nahe dem Odenwald und dem Spessart. Man sieht Traktoren, Weidezäune und Holzstapel, ein ehemaliges Schulhaus, für das es nicht mehr genügend Kinder gibt. Rund ums Dorf wachsen viel Weizen und Raps, „in der Regel das, was von Brüssel subventioniert wird", sagt der 50-Jährige. , Würde man den Markt zulassen, sähe unsere Landschaft bunter aus."
Der Markt, das ist sein Thema. 1933 begann Klaus Hildenbrands Großvater, Möbel und Bauelemente herzustellen. Nach dem Krieg produzierte man vor allem Fenster, aber als die durch die industrielle Fertigung in Großbetrieben immer billiger wurden und immer häufiger aus Kunststoff waren, verlegte sich Klaus Hildenbrands Vater auf Fensterläden. Auch die wurden verdrängt, von den Rollläden: Kaum einer wollte mehr Klappläden, die man von außen oder durchs geöffnete Fenster von Hand bedienen musste. Hildenbrand wurde klar, dass er, wenn seine Hilbra GmbH mit Fensterläden überleben sollte, nicht auf billige Massenware setzen durfte, sondern auf raffiniertere Läden. Solche, die sich nach oben falten lassen und dadurch ein Sonnendach bilden, und solche, die Sonnenkollektoren tragen und sich zur Seite schieben oder um ihre eigene Achse drehen lassen — alles motorgetrieben, aber möglichst filigran. Läden je nach Bedarf aus Holz oder Metall, die nicht einfach nur das Fenster schützen, sondern ein mobiles, energetisch einsetzbares und ästhetisches Fassadenelement bilden, das Architekten überzeugt.
An seinem Bürotisch, hinter sich eine Wand voller technischer Zeichnungen, sitzt Klaus Hildenbrand und erzählt zwei Geschichten. Die eine spielt in der Zeit, als die Familienschreinerei noch Fenster baute und auch solche eines großen Herstellers vertrieb. „In Verkaufsschulungen bläute man uns ein, wie man die Leute unter Druck setzt, damit sie neue Fenster kaufen. Außerdem sollten wir weiße Glasdichtungen anbieten. 10, 20 Jahre später kamen die als Reklamationen zurück, porös geworden vom UV-Licht." Die andere Geschichte liegt erst gut zehn Jahre zurück, damals lackierte Hildenbrands Betrieb die Fensterläden noch selbst; die Lackdämpfe stiegen vom Lackierraum in sein darüber liegendes Büro, seine Leberwerte waren die eines schweren Alkoholikers.
„Wenn ich am Frankfurter Kreuz bin und nach Darmstadt will, muss ich wissen, dass ich Richtung Basel fahren muss und nicht Richtung Dortmund. Ich brauche die große Linie, um ans Ziel zu kommen." Klaus Hildenbrands Ziel ist eine andere Wirtschaftsweise. Eine, in der man Kunden nicht über den Tisch zieht, ihnen keine fragwürdigen Produkte verkauft, in der niemand mit giftigen Stoffen hantieren muss. „Wir werden der Generation, die uns im Alter einmal pflegen soll, erklären müssen, was wir mit unserem Globus gemacht haben. Meine drei Söhne werden mich fragen, was ich getan habe gegen die abdriftenden Kurven in unserem Wirtschaftssystem." Gegen die astronomische Verschuldung. Die ausufernde Geldmenge. Das Einkommensgefålle. Die steigende Sockelarbeitslosigkeit. Die Umweltzerstörung. Die Konzentration von Kapital und Macht. Hildenbrand sieht Marktversagen, wo er hinschaut. Er findet, man müsse den Markt umbauen, das ist sein großes fernes Ziel. Den Weg dahin hat er in kleine Schritte aufgeteilt.
Neben der Tastatur seines Computers liegt ein Träger aus Metall. „Die einzige Bedingung ist, dass er unsere Horizontalfaltläden trägt, aus welchem Material und wie er hergestellt wird, ist egal." Das Teil ist aus Schwarzstahl, es muss geschweißt werden, braucht also viel Strom, der möglicherweise aus Atomkraftwerken stammt; und es muss gepulvert werden, wobei gefährliche Feinstäube entstehen. Die Alternative wäre ein gekanteter Träger aus Edelstahl, der nur ein Drittel wiegt, keine Pulverbeschichtung und weniger Strom bei der Herstellung benötigt; dafür enthält Edelstahl Chrom, dessen Stäube noch viel feiner sind als jene bei der Pulverbeschichtung. Vergleicht man beide Träger mithilfe von Datenbanken, die von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung viele Hundert Prozesse abbilden, fällt die Bilanz für den Edelstahlträger „nicht prickelnd aus", sagt Hildenbrand. „Bei vielen Werten schlägt das Edelstahlteil den Schwarzstahl, aber bei den gesundheitlichen Gefahren schneiden beide gleich schlecht ab."
Seit Jahren ackert er sich für solche Öko- und Sozialbilanzen durch Datenbanken. Im Grunde fing er damit schon als junger Mann an, als er für seine Abschlussarbeit als Holztechniker in einer großen US-Schreinerei ein Konzept für verbesserte Produktionsabläufe erstellte. Jahre später stieß er zum Club of Wuppertal, einer Initiative von Mittelständlern, die mit Wissenschaftlern an „zukunftsfåhigen Uternehmensleitbildern" arbeitet. Dort lernte Hildenbrand das MIPS-Verfahren kennen (Material-Input pro Serviceeinheit), mit dem sich der Naturverbrauch von Produkten und Dienstleistungen errechnen lässt. Auf dieser Basis entwickelte er einen „Zukunftspass" als Entscheidungshilfe für seine Kunden. Einer der ersten, die sich darauf einließen, war der Kasseler Architekt Alexander Reichel, mit dem Hildenbrand ein preisgekröntes Wohnhaus mit Hilbra-Faltläden bei der „Woche der Umwelt" 2007 im Schloss Bellevue des Bundespräsidenten vorstellte.
Es geht ihm um die wahren Werte
Doch der „Zukunftspass" genügte Hildenbrand nicht, er war ihm zu grob. An der Hamburger Fern-Hochschule HFH schließt er deshalb gerade seine Bachelorarbeit als Wirtschaftsingenieur ab („Der Weg zur nachhaltigen Kaufentscheidung"), in der er die Idee weitertreibt. Ergebnis ist der SustainGlobe, ein bunter Ball, der in fünf Dimensionen noch viel mehr Informationen aus diversen Datenbanken über ein Produkt und seine Wertschöpfungskette aggregiert und durch eine bronzene, silberne oder goldene Achse bewertet. Andreas Ciroth, Umweltingenieur und Geschäftsführer der international tätigen Beratungs- und Forschungsfirma GreenDelta in Berlin, hat die Arbeit betreut. Er urteilt: „Was Hildenbrand schreibt, steht dem nicht nach, was sich große Firmen mit Weltruf erarbeitet haben, um die Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu erfassen. Dass er ein vergleichsweise kleiner Akteur mit starkem Praxisbezug ist, macht seine Arbeit umso interessanter."
Hildenbrand will noch weiter gehen: Die Daten müssten in einen Gesamtwert in der Unternehmensbilanz münden. Der Saldo würde zeigen, ob eine Firma mehr ökologische und soziale Lasten oder Leistungen hervorbringt. Ein positiver Saldo müsste zu Steuererstattungen führen, bei einem negativen Saldo müsste ein Unternehmen seine Steuerlast eben tragen oder könnte sie mindern, indem es Leistungen eines anderen Unternehmens mit positivem Öko- oder Sozial-Saldo einkauft. Hildenbrand nennt das „bodenständige Marktwirtschaft. Der Preismechanismus funktioniert doch optimal", ruft er an seinem Schreibtisch. „Wir ruinieren unsere Welt damit nur, wenn wir den Preismechanismus nicht auch als Anreizsystem für alles Ökologische und Soziale nutzen. Das wäre ein freies Spiel der Marktkräfte, das brächte nachhaltiges Wirtschaften und echte Wohlfahrtssteigerung." Soll doch jeder ein dickes Auto fahren und so viele Flugmeilen abreiGen, wie er mag, findet Hildenbrand — solange er dadurch die Kosten für die Renaturierung in andere Bereichen finanziert. „Ich hätte Freude an jedem SUV, wenn er ein Vielfaches dessen kompensiert, was er an Natur verbraucht."
Sicher, man könne über jede einzelne Kennzahl und ihre Gewichtung in seinen Öko- und Sozialbilanzen streiten. Ob und wie stark man die Arbeitsbedingungen in südamerikanischen Minen einbeziehen kann, in denen Bauxit für Fensterladenbeschläge gewonnen wird. Inwieweit es sinnvoll ist, luftgetrocknetes Douglasienholz aus Nordamerika mit technisch getrocknetem Kiefernholz aus der Region zu vergleichen. „In meinen Öko- und Sozialbilanzen stecken keine absoluten Wahrheiten", sagt der Unternehmer und zieht eine Folie eines Vortrags hervor, den er bald vor einer Lokalgruppe der Global-Marshall-Plan-Initiative halten wird. Darauf ist der hell erleuchtete Kölner Dom bei Nacht zu sehen, ein imposantes Bauwerk mit mickrigem Buchwert: 26 Euro für die Grundstücksparzellen, auf denen der Dom steht, 1 Euro für den Dom selbst. „Es steht mir nicht zu, zu beurteilen, ob die 27 Euro den Wert des Doms zutreffend wiedergeben. Ganz sicher aber ist dieser Buchwert konform mit dem Handelsgesetzbuch. Wer mir vorwirft, meine Bewertungen seien nicht exakt, dem würde ich entgegenhalten, dass wir im WirtschaftslebenProzesse zu optimieren und dann alles auch jetzt schon — siehe Kölner Dom —durchzurechnen." nicht mit exakten Werten arbeiten, son-Zurzeit macht May für Hildenbrand dern große Unschärfen akzeptieren.
Wer sich nicht darauf einlasse, sich den "wahren Werten" wenigstens anzunähern, wer vor der Komplexität und dem Streitptoential der Öko- und Sozialbilanzen kapituliere, sei dem Unsinn vieler CSR-Berichte ausgliefert. "Da bringt man dann ein Foto von einer Frau mit Blumen und einem Mann mit Handhobel. Das kommt gut an, sagt aber nichts aus", schimpft Hildenbrand. Er vergleicht das mit Fensterbauern, die Holzprodukte als nachhaltig anpreisen, aber verscheigen, dass die dafür notwendige Lasur Fungizide mit langer Halbwertszeit enthält. Wer die Kärrnerarbeit des Rechnens und Bewertens ablehne, sagt Hildenbrand, werde leicht das Opfer von Ideologien. Er plädiert für Pragmatismus. Das heiße, „begründete Thesen zur Diskussion zu stellen und sie widerlegen zu lassen, wenn die Fakten des anderen stichhaltiger sind. Öko- und Sozialbilanzen sind der Versuch, unsere Wahrnehmung zu objektivieren." Der Pragmatismus im Betrieb: Vor zehn Jahren hatte die Hilbra GmbH noch acht Mitarbeiter, doppelt so viele wie heute. Je aufwendiger die Fensterläden wurden, umso mehr war fremde Expertise gefragt. Während Hildenbrand — neben seinem Fernstudium und seinen theoretischen Überlegungen — neue Ladenkonzepte entwickelte, über Antriebssysteme und Steuerungen nachdachte, wuchs sein Netzwerk aus kleinen Holz-, Metall- und Montagefirmen. Für ihn sind sie nicht Lieferanten oder Auftragnehmer, sondern „Senseholder". Keiner soll den anderen übervorteilen, langfristige Beziehungen sollen entstehen. „Unternehmen sind nicht nur Gewinnoptimierungsmaschinen. Wir stehen als Netzwerkpartner unter enormem Preisdruck, aber der Weg zu besseren, kostengünstigeren Produkten ist ein anderer." Er hat seinen Handwerksbetrieb, dessen Umsatz stark um die 500000-EuroMarke schwankt, zum Knoten in einem Netz kleinerer Firmen umgebaut, die gemeinsam auch größere Serien herstellen können.
Thomas May ist vorbeigekommen, Schreinermeister auch er, der im nahen Külsheim mit Branchenbedarf wie Schleifmitteln, Dübeln, Klebstoffen und Vakuumpressen handelt. May schult für Hildenbrand freie Monteure und fährt bei schwierigeren Aufgaben auch mal selbst mit auf die Baustellen. Manchmal spielen die beiden im Hof Freiluft-Schach mit den Figuren aus Abfallholz und führen dann Grundsatzdiskussionen. Wir hatten schon immer einen ÖkoTouch", sagt May, „aber das heißt nicht dass wir so ein bisschen rumbasteln. Es geht darum, Material zu reduzieren, die Prozesse zu optimieren und dann alles durchzurechnen.
Zur Zeit macht May für Hildenbrand Versuche, dan Ladenträger, der weder in Schwarzstahl noch in Edelstahl gute Öko- und Sozialbilanzen liefert, durch hölzerne Träger zu ersetzen. Mit seinen Vakuumpressen verleimt May Furniere in der Hoffnung, so die erforderliche Festigkeit zu erzielen. Heimisches Holz statt Metall, das ist die Idee. "Wir sind zuversichtlich, sagt Klaus Hildenbrand, "aber wenn es technisch klappt, müssen wir es auch in der Gesamtbilanz durchrechnen. Holz ist nicht automatisch ökologischer. Das wäre Ideologie."
"